Feierliche Entlassung des Examenskurses 02/11
- Details
- Hauptkategorie: News
Am Samstag, den 30.06.2012 wurde im Königsmarcksaal des Stader Rathauses der Examenskurs 02/11 entlassen. Den Festvortrag hielt der Fachleiter des Seminars Geschichte, Herr StD Dr. Johannes Heinßen. Im Folgenden finden Sie den Redetext in ganzer Länge und ein Abschiedsfoto des Examenskurses.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor allem aber: liebe Assessorinnen und Assessoren!
Mit Interesse habe ich der Einladung zu dieser Veranstaltung entnommen, dass im Anschluss an diese Feierstunde ein Fototermin geplant ist. Ich nehme an, dass er der Veri- bzw. Falsifikation meiner vor annähernd anderthalb Jahren anlässlich der Stadtführung geäußerten Prophezeiung dient, dass niemand von Ihnen heute noch so aussehen werde wie zu Beginn des Vorbereitungsdienstes. Sie mögen das entstehende Foto neben das, das im Februar 2011 vor dem Seminareingang entstanden ist, halten, und meine Hypothese überprüfen.
Inzwischen wissen Sie jedenfalls, was ich damit meinte. Sie haben eine intensive Lebensphase hinter sich gebracht; sie haben jede und jeder gemäß den eigenen Lernvoraussetzungen und der eigenen An-strengungsbereitschaft gearbeitet, geschafft, gebangt und gehofft – und sich dabei Themen- und Problemfelder erschlossen, von denen sie zu Beginn der Ausbildung womöglich nur von ferne etwas ahnten.
In unserer Pflanzstätte, dem Seminarium, wollten wir Ihnen Bedingungen bieten, um das Pflänzlein Ihrer didaktischen und pädagogischen Anlagen zum Blühen und Reifen zu bringen. Das ist uns ausweislich Ihrer Examenszeugnisse in vielen Fällen überzeugend gelungen und darüber freuen wir uns mit Ihnen.
Doch diese Wortmetapher trägt nicht weit. Sie missachtet Ihren Eigensinn und die Selbststeuerung ei-ner nicht nur erfahrenen, sondern auch bewusst gestalteten Ausbildung, die als interaktiver Prozess angelegt war. Sie waren und sind eben – gottlob – keine formbaren, ja beschneidbaren Pflanzen, sondern selbstbestimmt handelnde Teilnehmer am Ausbildungsprozess. Das enthüllte so manche originelle und kreative Idee im Rahmen Ihres didaktischen Kerngeschäfts, das zeigte andererseits in dunklen Stun-den aber auch der mon- oder dienstägliche Blick auf die Beschriftung des Whiteboards im Geschäfts-zimmer, deren Deutung sich gelegentlich durch die lakonische Hilfestellung „hat Mittwoch BUB“ leichter bewerkstelligen ließ.
Das Whiteboard hat nun seine Schuldigkeit getan. In den kommenden Wochen und Monate werden Sie sich neu orientieren. Sie werden erkennen, dass wir Ausbilder, ungebeten ins Zentrum Ihres Lebens getreten, darin schnell auf dasjenige Maß reduziert werden, das uns aus der Distanz betrachtet zu-kommt: Zaungäste in ihrer Biographie, Lebensabschnittspartner gewissermaßen, nach denen es ein Morgen gibt, auch wenn Ihnen dieser Gedanke in den vergangenen Monaten ganz abhanden gekommen sein mag. Das neue Umfeld, Ihre Schulleiterin oder Ihr Schulleiter werden Sie mit anderem, wenn auch keineswegs mit gänzlich anderem Maße messen. Und wer weiß, welche Facette des beliebten Narrativs über das eigene Referendariat Sie dann den nachwachsenden Kolleginnen und Kollegen zum Besten geben werden, so wie man es Ihnen gegenüber getan hat.
Und um die Tendenz zur Abmilderung des Stattgefundenen noch auf die Spitze zu treiben: Friedensverträge, die man in Europa zu der Zeit abschloss, als dieses schöne Rathaus gebaut wurde, beinhalteten in der Regel eine sogenannte Oblivionsklausel. Sie beinhaltete das gegenseitige Vergeben und Vergessen geschehenen Unrechts und zielte darauf ab, einen Frieden auf lange Frist zu gewährleisten. Und so könnten wir Ausbilder heute beim Sekt schulterklopfend neben Ihnen stehen, Ihnen ätschbätsch das Du anbieten und nach dem Motto „War doch alles nicht so schlimm, oder?!“ augenzwinkernd unser hierar-chisches Verhältnis ungeschehen zu machen versuchen.
Sie ahnen schon: Ganz abgesehen davon, dass Sie das vermutlich und zu Recht als Anbiederung empfin-den würden, werde ich darauf verzichten. Mir ist und bleibt wichtig, was ich von Ihnen in der Ausbildung gefordert habe und woran ich Sie gemessen habe. Ich war und bin auch Anwalt eines Faches, das ich liebe und das ich für wichtig halte, und ich möchte den Eindruck vermeiden, das Ganze habe nur um-ständehalber und rollenbedingt so stattgefunden, wie es stattgefunden hat. Das heißt: Was ich Sie zu lehren versucht habe, das war mir eine Herzensangelegenheit, auch wenn Sie sich diese Lehre womög-lich das eine oder andere Mal etwas glimpflicher vorgestellt hätten.
Und deshalb gestatten Sie mir auch abschließend noch ein Plädoyer ganz in diesem Sinne.
Ein ehemaliger stellvertretender Seminarleiter unseres Studienseminars weit vor unser aller Zeit pflegte Ihre Vorgänger mit dem Hinweis zu verabschieden, sie möchten hinfort gute Arbeit leisten, schließlich bekämen sie ein Majorsgehalt. – In der Tat ist der Major der Chef einer großen Kompanie von rund 100 Soldaten oder sogar der Kommandeur eines Bataillons, das mehrere Kompanien umfasst.
Bei aller berechtigten Klage über das mangelnde Ansehen unseres Berufsstandes, über unzureichende Bedingungen, zu viele Stunden, zu große Klassen, zu hohe Ansprüche und zu blödsinnige OECD-Studien ist unser Beruf zumindest besoldungstechnisch innerhalb des Beamtentums nach wie vor hoch angesiedelt. Ich habe nicht herausfinden können, wie viele Regierungsräte z.B. in der Verwaltung des Landkreises Stade arbeiten – sehr viele werden es aber nicht sein, gemessen an den rund 200 Beamten des höheren Dienstes in den beiden Stader Gymnasien. Verleitet uns der bloße Umstand unserer Vielzahl nicht gelegentlich dazu, Tragweite, Verantwortung und Anspruch unseres Amtes zu unterschätzen?
Unser Berufsstand wird sein Privileg gegenüber den fehlgehenden Bestrebungen, eine Einheitslehrer-ausbildung zu konzipieren, nur so lange wahren können, wie er seine besondere Kompetenz überzeu-gend und in Abgrenzung zu anderen Lehrämtern unter Beweis stellt. Unsere Kernkompetenzen sind zuvorderst die fachliche Expertise und ihre didaktische Inwertsetzung. Wer nur „klippert“ oder elementare Informationen vom einen Medium aufs andere und zurück schaufelt, unterrichtet nicht gymnasial. Unser Ansehen und unsere Autorität – das werden Sie im Schulalltag mindestens mittelfristig merken – sind notwendig auf unsere Fachkompetenz und die daraus abgeleitete Fähigkeit, Sinnbildungsprozesse bei den SuS zu initiieren, gegründet. Das war mir in Ihrer Ausbildung zentral und es scheint mir auch aus standespolitischen Erwägungen so wichtig, dass ich es hier auch noch ein drittes Mal formuliere: Die gute Gymnasiallehrerin/der gute Gymnasiallehrer überzeugt durch seine Fachlichkeit – nicht durch Placemats, Gruppenpuzzle oder gesinnungstüchtig reproduzierte Lehrverfahren um ihrer selbst willen, d.h. ohne inhaltliche Substanz.
Übernehmen Sie daher Verantwortung zukünftig nicht rein organisatorisch bei der Organisation von Unterricht, von Wandertagen oder Klassenfesten, sondern nehmen Sie teil am Schönsten, das unser Beruf uns bietet: Der Bildung von Menschen, die uns nachfolgen sollen. Menschen …
• denen Sie Rüstzeug mitgeben, um sich in ihrer Welt nicht nur zu verhalten, sondern sich zu orientieren.
• die ihre Entscheidungen fundiert treffen können.
• die Haltungen nicht nur situativ und taktisch einnehmen.
• die für etwas stehen.
Es ist nicht unser Schicksal, dass es Schülerinnen und Schüler gibt, die besser sind als wir, sondern es muss unser Ziel sein, solche Schüler hervorzubringen. Gewähren Sie ihnen diese Möglichkeit zur Entfaltung! Es geschieht selten genug, dass sie angenommen wird. Leben Sie Neugier vor! Markieren Sie Differenzen, nicht nur Ähnlichkeiten. Halten Sie Kontroversen aus, ja fördern Sie sie! Geben Sie Fehler zu und lachen Sie mit anderen darüber. Nutzen Sie das flüchtige Kapital Ihrer Jugend, um junge Menschen zu erreichen. Und entdecken Sie bei alledem sich selber täglich neu und lernen Sie – ein weiteres Privileg unseres Berufes – täglich gemeinsam mit Ihren Schülerinnen und Schülern.
In Namen des Seminarkollegiums gratuliere ich Ihnen herzlich zum bestandenen Examen und hoffe auf Sie und Ihr Verantwortungsbewusstsein. Wir werden es brauchen.